Die Kirchen und der Nationalsozialismus

Die Frage nach dem Verhältnis der christlichen Kirchen zum NS-Staat ist ein heißes Eisen: Eine Seite erkennt in den Verbrechen des Nationalsozialismus das Resultat einer gottlosen Gesellschaft, die andere Seite wirft den Kirchen enge Kooperation und über Jahrhunderte geschürte Judenfeindlichkeit vor. Diskussionen dazu werden oft hoch emotional geführt und arten leicht in persönliche Angriffe aus. Das ist nicht erstaunlich, denn bei dieser Diskussion wird das eigene Weltbild mit den größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte in Verbindung gebracht.

Leider versperrt die Emotionalität dieser Debatte oft den Weg zu einer möglichst vorurteilsfreien Abwägung der Argumente: Und offenbar muss es genügend Argumente für beide Seiten geben, ansonsten könnte diese Debatte nicht immer wieder aufflammen. Mir selbst sind zahlreiche einseitige Stellungnahmen zu diesem Thema begegnet, aber wenige Texte, die Hauptargumente beider Seiten ausgewogen gegenüberstellen. Dies will ich hier in kurzer Form versuchen. Um nicht auszuufern, gehe ich auf die jeweils 10 wichtigsten Argumente für und gegen eine enge Kooperation von Kirche und Nationalsozialismus ein und ende mit meinem persönlichen Fazit.

Vorab eine Anmerkung: Es gibt sehr viel Literatur zu dem Thema, die Sie alle mit Vorsicht lesen sollten (einschließlich meines Textes hier). Das Thema ist kompliziert und sie sollten nach einer eigenen fundierten Meinung suchen. Mein Rat: Beschäftigen Sie sich besonders intensiv mit den Argumenten der Position, welche Sie spontan nicht teilen. Wie komplex die Frage ist, ob die Kirchen mit dem Nationalsozialismus kooperierten, zeigt sich bis in individuelle Lebensgeschichten hinein. Nur ein Beispiel zur Einführung: In der Biographie des Münchener Erzbischof Faulhaber findet man scheinbar Widersprüchliches:

  • Einerseits begrüsste er Hitler nach dem Reichskonkordat 1933 mit den Worten „Gott erhalte unserem Volk unseren Reichskanzler“ und meinte nach einem Treffen mit Hitler 1936 „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott“. Nach dem Elser-Attentat, dass Hitler 1939 überlebte, sendete er Hitler ein Glückwunschtelegramm und ließ im Liebfrauendom ein Te deum singen.
  • Andererseits war er 1937 entscheidend beteiligt beim Entwurf und der Verteilung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die den NS-Staat scharf kritisierte. 1938 kam es im Anschluss an die Reichsprogromnacht zum Sturm auf sein erzbischöfliches Palais durch SA und SS, 1940 protestierte er gegen die Euthanisieprogramme der Nazis und 1941 gegen die angeordnete Entfernung von Schulkreuzen.

Obwohl das Verhältnis von Kirche und NS-Staat kompliziert ist, vereinfacht heute vor allem die katholische Seite diese Zeit bis hin zu Geschichtsfälschung und Diffamierung. Der Papst sagte z.B. 2011 in Assisi: „das Nein zu Gott hat Grausamkeiten und eine Maßlosigkeit der Gewalt hervorgebracht … Die Schrecknisse der Konzentrationslager zeigen in aller Deutlichkeit die Folgen der Abwesenheit Gottes.“ In England sprach er 2010 von heutigen „aggressiven Formen des Säkularismus“ und erinnerte an die „Nazi-Tyrannei, die Gott aus der Gesellschaft treiben wollte.“ Bill Donohue, Präsident der amerikanischen katholischen Liga, forderte daraufhin Atheisten auf, sich für Hitlers Verbrechen endlich zu entschuldigen. Bischof Mixa meinte 2009: „Die Unmenschlichkeit des praktizierten Atheismus haben im vergangenen Jahrhundert die gottlosen Regime des Nationalsozialismus und des Kommunismus mit ihren Straflagern, ihrer Geheimpolizei und ihren Massenmorden in grausamer Weise bewiesen.

Die vorhandenen Verstrickungen der katholischen Kirche mit dem NS-Staat werden so komplett geleugnet. Die evangelische Kirche, die schon früh mit der NSDAP kooperierte, arbeitete ihre Geschichte wesentlich offener auf. Drei Beispiele:

  • Als ich die Nikolaikirche in Leipzig besuchte, lief in deren Vorraum eine Ausstellung, die mit zahlreichen Bildern die Nähe von Kirche und NS-Staat illustrierten, z.B. durch die Deutschen Christen.
  • Auf evangelischen Nachrichtenseiten finden sich Berichte über die Unterstützung der Nazis bei der Suche der Nicht-Ariern. In diesem Bericht findet sich sogar ein Foto, dass in der 1933 gegründeten „Reichszentrale zur Bekämpfung des Gottlosentums“ aufgenommen wurde.
  • Auch nach dem Krieg wurde bis in die jüngste Vergangenheit versucht (manchmal unter dem Druck der Fakten), die Geschichte korrekt darzustellen. Hier z.B. gibt der evangelische Pressedienst zu, dass er doch nicht von den Nazis verboten wurde.

Die katholische Kirche hat sich dieser Verantwortung nur zu Beginn gestellt. Im ersten Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz vom 23. August 1945 hieß es noch: „Furchtbares ist schon vor dem Kriege in Deutschland und während des Krieges durch Deutsche in fremden Ländern geschehen. Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen (sc. der katholischen Gläubigen), haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben, leisteten durch ihre Haltung Vorschub den Verbrechen, viele sind selbst Verbrecher geworden„. Diese Art der Aufarbeitung, welche das Ansehen der Kirche steigert und nicht schmälert, war danach nur noch selten zu finden.

Aber kommen wir jetzt zu den jeweils 10 Belegen für und gegen eine enge Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus und der damit verwandten Frage, ob das Dritte Reich atheistisch war. Wie gesagt, kann ich dies hier nur kurz tun: Zu jedem einzelnen Punkt könnte man ein Buch schreiben.

10 Belege dafür

1. Parteiprogramm der NSDAP von 1920: Artikel 24 sagt „Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums„. Auch um 1933 äußerte sich Hitler kirchenfreundlich, z.B. bei der Reichstagtagung in der Krolloper am 23. März 1933: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. … Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente der Moral und Sittlichkeit des Volkes sieht, größten Wert auf freundschaftliche Beziehungen zum heiligen Stuhl.

2. Rasche Kooperation nach Machtergreifung: Vor der Machtergreifung durch Hitler Anfang 1933 stand die katholische Kirche der NSDAP ablehnend gegenüber; sie hatte ihr politisches Heim in der Zentrumspartei. Aber bereits 1933 wandelte sich dies sehr rasch und über viele katholische Gruppen wie z.B. dem katholischen Lehrerverband oder der katholischen Arbeiterbewegung hinweg: Hier eine Darstellung aus katholischer Sicht, hier ein Spiegel-Artikel von 1965 dazu. Entscheidend war die Fuldaer Bischofskonferenz Ende März 1933. Dort hieß es zur bisher bestehenden Ablehnung, „daß die vorgezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen.“ Sie stellt weiter fest: „In Deutschland ist die neue Regierung rechtmäßig in den Besitz der Gewalt gekommen, und damit müssen die Grundsätze der christlichen Staatslehre auch der neuen Regierung gegenüber gelten„. Diese Staatslehre beruht auf dem Römerbrief des Paulus: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt“.

3. Reichskonkordat mit dem Vatikan im Juli 1933: Bereits 1929 schloss der Vatikan ein Konkordat mit dem Faschisten Mussolini (Lateranverträge 1929), ohne den es den Vatikanstaat in der heutigen Form nicht gäbe. Der Kirchenstaat wurde 1870 aufgelöst und 1929 als souveränes Territorium wieder eingesetzt. Der Vertrag mit Hitlers Deutschland fixiert Rechte der katholischen Kirche wie Staatsleistungen und Kirchensteuern, erweitert den katholischen Religionsunterricht usw.. Umgekehrt soll die Kirche für das Wohlergehen des Deutschen Reiches beten und die Treue zum Deutschen Reich wird in den bischöflichen Treueeid eingebaut. Selbst nach dem Krieg bestand die Kirche auf Einhaltung des Vertrags, etwa 1954 bei Fragen zum Religionsunterricht.

4. Fahneneid und Koppelschloss: Im Reichswehreid der Weimarer Republik schworen Soldaten ohne Gottesbezug ihre Treue zur Verfassung und zum Land. Ab dem Dezember 1933 erhielt die Eidesformel einen Gottesbezug; ab 1935 schwor man „bei Gott diesen heiligen Eid“ Hitler unbedingten Gehorsam zu leisten. Das Gürtelkoppelschloss der Wehrmacht trug den Spruch „Gott mit uns“ über Reichsadler mit Hakenkreuz. Hitler mag dies rein funktional gesehen haben. Er sagte einmal zu Bischof Berning: „Wir haben Soldaten nötig, gläubige Soldaten. Gläubige Soldaten sind die wertvollsten. Die setzen alles ein„. Derselbe Berning sagte schon 1933: „In unserer heiligen katholischen Kirche haben wir das Führerprinzip bereits von dem Stifter unserer Kirche Jesus Christus erhalten.

5. Das Verhalten der wichtigsten Bischöfe: Faulhaber erwähnte ich bereits. Gröber, der auch „brauner Conrad“ genannt wurde, war SS-Mitglied, befürwortete das Entbieten des „Deutschen Grußes“ im Religionsunterricht, war für die Eingliederung der katholischen Jugend in die Hitlerjugend und predigte selbst 1941 noch scharf judenfeindlich. Galen dankte Gott dafür, dass er „die höchsten Führer unseres Vaterlandes erleuchtet und gestärkt hat, dass sie die furchtbare Gefahr, welche unserem geliebten Volke durch die offene Propaganda für Gottlosigkeit und Unsittlichkeit drohte, erkannt haben und sie auch mit starker Hand auszurotten suchen„.

6. Die Deutschen Christen: Dies war eine rassistische und führertreue Gruppe in der evangelischen Kirche, der rund ein Drittel der Pfarrer anhing. Sie schaffte es an die Spitze mehrerer evangelischer Landeskirchen. Ihr Mitbegründer Ludwig Müller wurde evangelischer Reichsbischof und von Göring zum Staatsrat ernannt. Gegenspieler der „Deutschen Christen“ war die „Bekennende Kirche“, auf die ich noch kommen werde.

7. Antisemitismus der Kirchen: Eine Quelle des europäischen Antisemitismus war seit Jahrhunderten das Christentum. Immer wieder gab es darin Strömungen, welche die Juden als Gottesmörder ansahen. Der Begriff der jüdischen Rasse geht nicht auf die Evolutionstheorie zurück, sondern auf die Blutreinheitsgesetze von 1449, die „estatutos de limpieza de sangre“. Diese waren zusammen mit dem Alhambra-Edikt Grundlage der spanisch-katholischen Inquisition. Luther entwarf in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ ein 7-Punkte-Programm zu ihrer Bekämpfung. Punkt 1 war, dass man ihre Synagogen verbrennen solle, wie es 1938 auch geschah.  Der letzte Satz des zweiten Kapitels von Hitlers Buch „Mein Kampf“ (das ich aus rechtlichen Gründen nicht verlinke) lautet: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn„.

8. Bekämpfung des Atheismus: Die wichtigste atheistische Gruppe war der Deutsche Freidenker-Verband mit 650000 Mitgliedern. Schon am 17. März 1933 stürmte die SA das Berliner Freidenkerhaus, das Vermögen wurde geraubt, die Tätigkeit des Verbandes verboten und in den Räumen wurde die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Gottlosentums“ eingerichtet. Sein Vorsitzender Max Sievers wurde verhaftet, konnte ins Ausland fliehen, wurde wieder ergriffen und schließlich von Freisler zum Tode verurteilt. Hitler sagte schon im Oktober 1933, dass er den Kampf gegen den Atheismus nicht nur mit Worten aufgenommen hat, sondern ihn ausrottete und das z.B. säkulare Schulen nicht tolerierbar seien.

9. Schweigen zum Judenmord: Dieser Vorwurf wird z.B. in Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“ thematisiert. Der Vorwurf lautet, dass Papst Pius XII. vom Judenmord in den Konzentrationslagern wusste, aber seine Stimme dazu nicht erhob. Bereits vor seiner Papstwahl war Pacelli über Judenverfolgung informiert,  spätestens ab 1941 war er über den Holocaust informiert. Selbst die später heilig gesprochene Edith Stein bat 1933 ohne Erfolg den Papst um Hilfe. Sie schrieb: „Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich „christlich“ nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuerer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun„. Er schwieg weiter zu allen Verbrechen der Nazis.

10. Ausschleusung von Nazis nach dem Krieg: Dies geschah über die sogenannten Klosterrouten. Die Amerikaner nannten sie „Rattenlinien„. Zahlreiche Nazis gelangten so z.B. nach Südamerika. Hochrangige Mitglieder des Klerus waren daran beteiligt, aber ob der Papst davon wusste, ist unklar. Hier ist eine Filmdokumentation dazu. Auch Adolf Eichmann, der schlimmste Judenmörder, wurde fünf Jahre nach Kriegsende unter Hilfe des im Vatikan tätigen Bischofs Hudal die Flucht ermöglicht. Noch 1962 schrieb Hudal, er hätte nach 1945 seine „ganze karitative Arbeit in erster Linie den früheren Angehörigen des Nationalsozialismus und Faschismus, besonders den sogenannten Kriegsverbrechern geweiht, die von Kommunisten und ‚christlichen‘ Demokraten verfolgt wurden„. Dies sei „in diesen Zeiten die selbstverständliche Forderung eines wahren Christentums, das keinen Talmudhaß, sondern nur Liebe, Güte und Verzeihung kennt“ gewesen.

10 Belege dagegen

Nun zu den Argumenten, die von Vertretern der These, dass die katholische Kirche wenig mit den Nationalsozialisten zu schaffen hatte, genannt werden.

1. Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war vor 1933 in Deutschland als Apostolischer Nuntius tätig. In diesen Jahren lernte er die Anfänge der NSDAP gut kennen und schrieb bereits 1924, dass der Nationalsozialismus die „vielleicht gefährlichste Häresie unserer Zeit“ ist. Zur Judenverfolgung soll er sich aus Sorge um die Verfolgung von Katholiken in Deutschland nicht deutlicher geäußert haben. Als Beleg für die Unwirksamkeit und Gefährlichkeit eines offenen Protests wird z.B. angeführt, was in den Niederlanden geschah. Dort veröffentlichte die Bischofskonferenz 1942 einen Hirtenbrief, der zu einer Verhaftungswelle unter katholischen Juden führte; darunter war auch Edith Stein. Erst 1942 sprach Papst Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache von „Hunderttausenden, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind„. Gegen die Deportation von Juden aus Rom hätte er 1943 konspirativen Widerstand geleistet.

2. Mitgliedschaftsverbot für Katholiken: Die politische Heimat der Katholiken, die etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung stellten, war die Zentrumspartei. Vor 1933 war ihnen die Mitgliedschaft in der NSDAP untersagt. Noch 1932 wurde sie als „unvereinbar mit dem christlichen Glauben“ bezeichnet. Die Stimmanteile für die NSDAP waren in katholischen Gebieten wie etwa im Rheinland deutlich geringer.

3. Die Enzyklika „Mit brennender Sorge„: Dieses Schreiben wird als wichtigster Beleg für den kirchlichen Widerstand interpretiert. Mehrere Bischöfe, darunter Faulhaber und Galen, drängten Papst Pius XI. zu einen Hirtenbrief, den Faulhaber entwarf. Das Schreiben wurde heimlich gedruckt, an alle Pfarrämter verteilt und im März 1937 verlesen. Beklagt wird darin die Bedrängnis der katholischen Kirche und eine Verfälschung des Glaubens durch die Nationalsozialisten. Die Haltung zur Rassenfrage ist zweigeteilt. Es heißt im vollständigen Text in Abschnitt 12, dass Volk und Rasse in „der irdischen Ordnung einen wesentlichen und ehrengebietenden Platz behaupten„, es aber außerhalb der irdischen Wertskala ein Götzenkult wäre, sie zur höchsten Norm zu erklären. Als Folge kam es zu einer Serie von Schul- und Klosterschließungen und zu Einschränkungen des Religionsunterrichts. Die Kirchenaustrittszahlen schossen in den Folgejahren in die Höhe.

4. Widerstand gegen das Euthanisieprogramm T4: 1940 begannen die Nazis mit systematischen Tötungen von Behinderten und „Erbkranken“. Der Papst protestierte gegen diese Aktion, wenn auch in abgemildeter Form. Ebenso protestierten mehrere hochrangige deutsche Geistliche wie Bischof Galen, wenn auch ohne Unterstützung der gesamten Bischofskonferenz, aber dafür mit einigem Erfolg.

5. Die deutschen Bischöfe: Beispiele für deren Nähe zum NS-Staat nannte ich bereits, aber zu denselben Bischöfen können auch Aktionen gegen die Nazis genannt werden. Wie erwähnt schrieb Faulhaber die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, Galen engagierte sich gegen das Euthanasieprogramm T4. Gröber tat dies ebenso und kritisierte das NS-Regime als kirchenfeindlich. Berning lehnte bis 1933 die NSDAP ab, trat dann als massiver Befürworter auf, der dann aber später wieder auf Distanz ging.

6. Die Bekennende Kirche war auf protestantischer Seite eine Gegenbewegung zu den schon genannten regimetreuen Deutschen Christen; man spricht auch vom Kirchenkampf. Sie versuchte eigene staatsunabhängige Strukturen aufzubauen. Zu ihnen gehörten bekannte Gegner der Nazis wie der im KZ hingerichtete Dietrich Bonhoeffer und, nach anfänglicher Nähe zum Regime, Martin Niemöller. Nach dem zweiten Weltkrieg waren sie federführend beim Stuttgarter Schuldbekenntnis, in dem die evangelische Kirche Deutschlands eine Mitschuld an den NS-Verbrechen eingestand.

7. Der Pfarrerblock im KZ Dachau: Verhaftete Priester aller Konfessionen, also auch Katholiken wie Karl Leisner, wurden in Dachau zusammengeführt; insgesamt über 2700. Trotz im Vergleich zu anderen Häftlingen besseren Bedingungen starben über 1000. Die Mehrzahl waren Polen, denn dort waren national eingestellte Priester am Partisanenwiderstand gegen die deutschen Besatzer beteiligt. Heinrich Böll meinte einmal: „Es ist üblich geworden, immer dann, wenn die Haltung der offiziellen katholischen Kirche in Deutschland während der Nazizeit angezweifelt wird, die Namen der Männer und Frauen zu zitieren, die in Konzentrationslagern und Gefängnissen gelitten haben und hingerichtet worden sind. Aber jene Männer, Prälat Lichtenberg, Pater Delp und die vielen anderen, sie handelten nicht auf kirchlichen Befehl, sondern ihre Instanz war eine andere, deren Namen auszusprechen heute schon verdächtig geworden ist: das Gewissen.“ Der Hinweis auf den fehlenden kirchlichen Befehl mag stimmen, aber getrieben wurde ihr Gewissen sicherlich von ihrem Glauben. Die einzige systematisch verfolgte christliche Gruppe waren übrigens die Zeugen Jehovas (damals Bibelforscher genannt), weil sie Hitlergruß, Wehrdienst und Treueeide verweigerten. Die katholische und evangelische Kirche beteiligten sich unter anderem durch Kooperation mit der Gestapo an der Verfolgung dieser „Entartungserscheinung des Glaubens„.

8. Sozialdarwinismus: Wenn die Rede von einer atheistischen Ideologie der Nazis ist, dann wird damit oft die Anwendung der Evolutionstheorie Darwins auf Menschen genannt. Ernst Haeckel hatte die Evolutionstheorie in Deutschland verbreitet. Er starb zwar bereits 1919, war Pazifist und der von ihm gegründete Monistenbund wurde von den Nazis 1933 verboten, aber seine Ideen beeinflussten in der Tat einige führende NS-Rassenideologen wie Alfred Ploetz. Das diese Interpretation der Evolutionstheorie unsinnig war und nicht mit Atheismus gleichzusetzen ist, steht auf einem anderen Blatt.

9. Nationalsozialismus als politische Religion: Vieles am Führerkult wirkt messianisch und Hitler bemühte gerne das Konzept der Vorsehung; dies hatte quasi-religiöse Züge, welche in Konkurrenz zum Christentum traten. Hitler war katholisch und blieb Kirchenmitglied bis zum Tod: Er wurde auch nicht exkommuniziert. Seine Religion war aber vermutlich eine merkwürde Mixtur aus Christentum, Rassismus und anderen Elemente. Einzelne hohe Nazis wie Himmler hingen einem kruden germanischen Mystizismus an, Rudolf Heß war Anthroposoph, Goebbels wollte Kirche und Staat stärker trennen und Martin Bormann war strikt antikirchlich eingestellt.

10. Hitler soll sich in privater Runde extrem kirchenfeindlich geäußert haben. In diesen oft zitierten sogenannten Tischgesprächen soll er das Ende des Christentums angekündigt haben und das er selbst sich der christliche Lüge nie verbunden fühlte. Die Aufzeichnungen dieser Gespräche sind jedoch sehr problematisch: Die wichtigste Quelle ist Bormann, der möglicherweise seine kirchenfeindlichen Ansichten Hitler in den Mund legte und zahlreiche sinnentstellende Übersetzungsfehler sind bekannt. Aufgezeichnet wurden die Gespräche von wenig verlässlichen Historikern wie Hugh Trevor-Roper, der kaum Deutsch verstand und später auch in einem Gutachten die gefälschten Hitler-Tagebücher des Stern für echt erklärte.

Ein mögliches Fazit

Beide 10-Punkte-Listen könnte man sicher ergänzen, aber das Gesamtbild bleibt gleich: Es finden sich viele Belege für und gegen die Kirchenfeindlichkeit der Nazis und die Kooperation mit den Kirchen. Wie ist dies zu erklären? Mein Fazit ist, dass beide Seiten eine eigene Agenda hatten und ein spannungsgeladenes Zweckbündnis lebten:

  • Die katholische Kirche hat sich über Jahrhunderte bei den Machthabern angedockt. In Deutschland war sie durch den Kulturkampf Bismarcks noch unter Schock und sie fürchtete die Bedrohung durch den aufkommenden Kommunismus und Säkularismus. Auf der anderen Seite hatte sie mit Mussolini bereits erfolgreich kooperiert und hoffte vermutlich, dies mit deutschen Faschisten auch zu können. Das Reichskonkordat war keine Liebesheirat und der Konflikt war vorprogrammiert, als die Nazis sich an Teile davon nicht mehr halten wollten.
  • Die Nationalsozialisten nutzten die Kirchen um sich moralisch aufzuwerten und als Partner im Kampf gegen die politische Linke. Die Kooperation mit der katholischen Kirche sollte ihnen die Wähler der Zentrumspartei zuführen. In traditionellen Werten wie Familie, Zucht und Disziplin fanden beide Seiten Übereinstimmungen. Langfristig konnte es aber keine zwei wertbildenden Instanzen geben, was sich nur durch eine spezifisch deutsche Kirche hätte lösen lassen, so wie es mit der evangelischen Kirche in Form der „Deutschen Christen“ versucht wurde.

Neben dieser Hauptcharakteristik des Verhältnisses gibt es eine Menge an Variation, die auf einzelne Personen und Gruppen zurückgeht, z.B. besonders stramm deutsch-nationale Christen ebenso wie Personen, die in beeindruckender Weise dem Ideal christlicher Nächstenliebe folgten und Militarismus und Rassismus ablehnten. In der Masse dieser breiten Variation finden Kirchengegner und Kirchenfreunde genügend Material um sich zu streiten.

Was ist von den eingangs genannten Vorwürfen des heutigen Papst zu halten, der Nationalsozialismus sei atheistisch? Dieser Vorwurf ist – man muss es klar sagen – eine diffamierende Geschichtsfälschung. Hitler bekämpfte atheistische Verbände wie den Freidenkerverband von der ersten Minute an brutal, er äußerte sich in der Öffentlichkeit stets kirchenfreundlich und suchte zumindest in den ersten Jahren nach der Machtergreifung die enge Kooperation mit den Kirchen, was diese zunächst gerne aufgriffen.

Es wäre aber ebenso eine Geschichtsfälschung der katholischen Kirche pauschal zu unterstellen, sie sei pro-faschistisch gewesen: Sie war einfach pro-katholisch und kooperierte mit dem Faschismus. Die Kooperation brach dort ab, wo es zwangsläufig zu Konflikten mit der politischen Ideologie kam.

Durch die Kooperation mit dem NS-Staat haben die Kirchen Schuld auf sich geladen, an die sich sich ebenso erinnern sollten wie an die Beispiele des Widerstands gegen das NS-Regime. Die evangelische Kirche, die teils grössere Schuld auf sich lud, ist in ihrer Aufarbeitung deutlich weiter als die katholische und dadurch glaubwürdiger: Dafür ist Respekt zu zollen, während die Analogiebildungen zwischen Nationalsozialismus und Atheismus von prominenten Katholiken eher moralisch abstoßend sind.

Die atheistischen Verbände waren in der NS-Zeit schwach und wurden früh bekämpft. Hier gibt es Nichts zu entschuldigen, so wie Bill Donohue es forderte. Trotzdem ist ein selbstkritischer Rückblick nützlich: Ein Teil der Nazi-Ideologie wurde unterfüttert mit scheinwissenschaftlichen Rassentheorien und den Euthanasie-Programmen lag eine pseudo-utilitaristische Logik des Volkswohls zugrunde. Die daran beteiligten Person sind historische Warnungen davor, wie Wissenschaft und Philosophie entgleisen können.